Wo liegt das denn? Mit Slowenien kann man recht wenig anfangen. Vor allem als Urlaubsland. Sehr gerne wird es auch mit der Slowakei verwechselt. Dabei ist das verhältnismäßig kleine EU Land eines der grünsten Länder Europas und bekannt für seinen nachhaltigen Tourismus. Erholung am Meer, in den Bergen oder Flachland – für jeden Charakter ist etwas geboten. Auch Kulinarik und Kultur kommen nicht zu kurz.
Ich fahre natürlich nachhaltig zum Bio-Hotel Trnulja. Mit einem E-Auto, dieses Mal mit dem Tesla Model 3 Dual Performance. Etwa fünf Stunden inklusive Laden brauche ich von München bis Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens. Der Ökohof liegt am südlichen Ljubljaner Stadtrand in einer Siedlung am Fluß Ljubjanica, Crna Vas genannt, keine zehn Kilometer von der Stadtmitte entfernt. Während um die Burg der Hauptstadt das Leben pulsiert, ist es hier wie in einer anderen Welt und Zeit. Das Gebiet liegt im Laibacher Moor inmitten purer Natur.
Das alte Holzhaus ist geschichtsträchtig, das spürt man bei der Ankunft. Wir schließen die Tür vom Haus auf. Das erste, was mir auffällt, versetzt mich in absoluter Begeisterung! An der Wand hängt ein Replika des Kolo Wheel 5200, dem ältesten Rad der Menschheitsgeschichte mit Achse! Der überraschende Sensationsfund ereignete sich unerwartet im Jahre 2002, als Archäologen eine Holzprobe in einem Entwässerungsgraben eines Feldes des etwa 5200 Jahre alten Pfahlbaus im Laibacher Moor bei Vrhnika, etwa 20 km von Ljubljana entfernt, entnahmen.
Es ist auch aus dem Grunde so einzigartig in seiner Schöpfung, weil es in der Natur so nicht vorkommt. Treffend erklärt es der Autor Jürgen Kaube in seinem Buch „Die Anfänge von Allem“: „ Den Hammer hat man als Organprojektion nach dem Vorbild der geballten Faust erklärt, die Mühlensteine aus dem Gebiss und die mechanischen Hebel aus den Armen … Doch für das Rad – ein Gebilde, das sich um 360 Grad dreht … – geben weder der menschliche Körper noch die Umwelt Anregungen. Die Gliedmaßen können nicht rotieren, und selbst die Sonne ist für die Anschauung nur rund, aber sie dreht sich nicht. Das Rad kann darum nicht durch Nachahmung der Natur erfunden worden sein …“
Auch der Anhänger meines Zimmerschlüssels ist ein Kolo Wheel! Ursa und Micha, Eheleute und Besitzer des Hotels, lächeln, als sie meine unendliche Begeisterung bemerken und sind erstaunt, dass ich davon weiß. Ich erzählen ihnen, dass ich vor knapp drei Jahren das Rad zum ersten Mal im Museum in Vrhnika besuchte. Micha überlegt und tätigt einen Anruf. Auch wenn ich aus dem ehemaligen Jugoslawien stamme – slowenisch verstehe ich kaum. Was ich bemerke ist aber sein Lächeln während des Gespräches. „Ich habe gerade mit dem Bekannten telefoniert, auf dessen Feld das Rad gefunden wurde. Wenn Du magst, fahren wir dahin.“ Ich bin aufgeregt wie ein kleines Kind! Ich darf mir die Stelle ansehen, wo eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit gefunden wurde! Die Fahrt dorthin ist schon ein Erlebnis. Wir passieren alte Dörfer und die Natur ist sehr ursprünglich.
Wir halten am Ufer der Ljubljanica mit ihrem mal blauen oder trüben Gewässer, das gemächlich an uns vorbeifließt. Es ist so ruhig. Was da wohl noch alles darunter liegt von den Pfahlbauten, die bis in die Jungsteinzeit datiert werden? Micha zuckt mit den Achseln: „Sicherlich noch ganz viel!“
Wir fahren vor bis zum Feld, dem Ort des Sensationsfundes. Keine Menschenseele ist da. Die Sonne scheint auf die über dem Feld verteilten Strohballen. Nur das Muhen der Kühe auf der gegenüberliegenden Weide ist zu vernehmen. Micha öffnet ein Foto auf seinem Handy. „Schau, hier wurde es gefunden.“
Er vergleicht die aktuelle Natur mit dem des Fotos und navigiert mich zur Stelle. „Ein bisschen rechts und einige Schritte zurück. Ja, genau … Und noch etwas in Richtung Graben … Ja! Das müsste es laut der Lage der Bäume im Hintergrund sein!“ Er gesellt sich mir begeistert an: „An solche Arbeitstage könnte ich mich gewöhnen!“ Bedächtig stehen wir nebeneinander und starren ehrfurchtsvoll auf den Boden. Ich blicke zum Tesla, der in der Sonne glänzt. Ob es ihn geben würde, wenn das Rad nicht erfunden worden wäre? 5200 Jahre Entwicklungsgeschichte an einem Ort – das macht mich demütig!
Wir fahren besonnen zurück zum Hotel, das eine wunderbare Geschichte hat. Ursa, eigentlich Volkswirtin, die in Wien studiert hatte und somit perfekt deutsch spricht, und ihr Mann Micha, eigentlich aus der IT-Branche, haben dieses alte komplett mit Schlehdorn umrankte Haus für sich als Privatunterkunft entdeckt. „Es sah aus wie Dornröschen im Tiefschlaf! Zuerst wollte wir es Dornröschen nennen, doch das war uns zu banal. Daher nennen wir es Trnulja, der slowenische Begriff für Schlehdorn. Immerhin war er es, die dieses wunderbare Haus beschützt hat.“
Ich bin ganz froh. Auch dieser Begriff ist für mich schwer auszusprechen. Dornröschen lautet auf slowenisch Trnuljčica, das etwa wie trnultschitza ausgesprochen wird. Zungenbrecher at its best. Nun haben sie ein Biohof daraus gemacht und empfangen Gäste, die eins mit der Natur werden und ihre Ruhe geniessen möchten.
Das sympathische Ehepaar renovierten es nach dem Vorbild des ältesten Hauses in der Siedlung mit natürlichen Materialien wie Holz, Lehm-Verputz und Hanf-Isolation. Und machten daraus einen Bio-Bauernhof. Heute gehören zum großzügigen Komplex neben den großen und gemütlichen Apartments ein Wellnessbereich, eine Sauna und Fitnessbereich inkl. Personal Trainer auf Wunsch.
Das Frühstück ist eine Wucht! Alles bio, regional und saisonal. „Wir betreiben Tauschhandel mit unseren Bauern in der Nachbarschaft. Genauso wie zu Zeiten der Pfahlbauten Bevölkerung“, erklärt uns Ursa. Das Tongeschirr wurde extra für sie gebrannt. Wunderschöne Schalen mit geritzten Mustern befinden sich auch in meinem Zimmer. Ich liebe die Ziegensalami, den warmen Zwiebelkuchen mit Currysauce, die selbst gemachten Brotaufstriche, das Hanfmüsli aus dem eigenen Anbau.
Hanf – das spielt eine ganz große Rolle in der Familie. Sie waren die ersten, die Hanf im Land anbauen durften. Heute machen sie daraus wertvolles und gesundes kaltgepresstes Öl und Müsli. Auch Kochkurse rund um Hanf werden angeboten. Und der Gast schläft auf biologischen Hanf-Matratzen. Weiterhin bauen sie verschiedene Getreidesorten an, die sie zu Mehl vermahlen, und sie haben Mandelbäume. Heute zählt es zu den fünf besten Biohotels des Landes. „Unser Anspruch ist es, das Beste zu werden!“ Das nehmen wir der selbstbewußten Ursa sofort ab.
Micha will mit die geschichtsträchtige Gegend zeigen. Ich will den Tesla holen, der an der privaten Wallbox geladen wird. Natürlich fahren auch sie ein E-Auto. Doch die Berge können nur mit einem Offroader erklommen werden. Wir fahren mit seinem Pickup, der eigentlich nur für Arbeitszwecke eingesetzt wird. “Jetzt bringe ich Dich zu einem Ort, an dem ich gerne verweile, um meine Ruhe zu finden.” Wir fahren durch einen tiefen Wald über einen Schotterweg. Es geht aufwärts. Ich bin überrascht und hätte nicht gedacht, dass Slowenien solche Wälder hat. Und das nur etwa eine halbe Stunde von der Stadtmitte entfernt. Es ist sonnig und warm. Doch die Bäume verleihen uns Schatten und die Temperatur ist angenehm.
Er bringt mich zu einer Lichtung am Felsenwand, die wie eine kleine ausgestreckte Zunge über die unsichtbaren Täler hängt. Um mich herum nur tiefster Wald soweit das Auge reicht! Ich sitze einfach nur da. Man hört ausser dem Vogelgezwitscher nichts. “Unten in den Tälern sind die Quellen für unser slowenisches Wasser, das wir gerne trinken”, erzählt mir Micha. “Jetzt ist sehr friedlich. Sobald die Sonne untergeht, beginnt der Wald zu leben hier. Es gibt hier eine hohe Population an Bären und Wölfen.”
Am Abend wird das spätsommerliche Dinner serviert. Man kann eine Auswahl treffen zwischen deftig und leicht. Und die Vegetarier und Veganer kommen auch nicht zu kurz. Selbst gemachtes Brot wird mit hauseigenen biologischen kalt gepressten Ölen als Vorspeise serviert, darunter auch Hanföl.
Während wird dinieren spielen drei attraktive Musiker traditionelle Klänge. Lange bleiben wir nicht auf unseren Stühlen sitzen. Fröhlicher Tanz beendet den schönen Tag und Abend.
Am nächsten Morgen verlasse ich mit einem weinenden Auge das Hotel. Ursa drückt mir eine Papiertüte in die Hand. Darin sind Leckereien von ihrem Hof. Hanföl, Maismehl für Pudding, Kekse. Und dann haben sie noch eine Überraschung für mich. Ein Schlüsselanhänger in Form des Kolo Wheel! Ich weiß, ich werde wiederkommen. Das Kolowheel von Slowenien – wie viele Menschen aus verschiedenen Regionen hat es zusammengebracht seit seinem Entstehen vor 5200 Jahren! Laut der Rekonstruktion gehört es zu einem Karren, das von Rindern gezogen wurde. Waren sie genauso erstaunt, wie die Damen und Herren damals beim Anblick des ersten Autos? Wurde es angenommen oder erst mal abgelehnt? Wir wissen es nicht. Wohin hat uns das Rad bis heute gebracht? Eben! Sehr weit! Mich in diesem Fall zum Bio-Hotel Trnulja, in dem jeder Gast, sei er allein, als Paar oder Familie unterwegs, sein eigenes Märchen erleben darf.