Nadja Diklic: 1. März in Bosnien-Herzegowina – Ehre seinem Andenken!

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Nadja Diklic
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Autorin: Nadja Diklic Entschuldigung – dieser Tag wird die Träume der Lagerhäftlinge nicht wegradieren können. Verzeihung – er wird das Gefühl der Erniedrigung bei vergewaltigten Frauen nicht abwenden können. Verzeihung, er wird den Kindern nicht die Väter zurückbringen können. Aber vielleicht werden wir zeigen können, dass in uns doch noch etwas Menschlichkeit steckt. Republika Srpska (RS) hat ihre Verfassung gefeiert. Bosnien-Herzegowina feiert heute den Tag der Unabhängigkeit. Die nationale kroatische Volksvertretung fordert eine Teilung Bosnien-Herzegowinas in vier territoriale Einheiten. Nein, das ist nicht die Einleitung der Nachrichten um halb acht vom 1. März 1992. Heute ist der 1. März, nur 23 Jahre später. Nur, dass es noch mehr Gründe zum feiern gibt. 23 Jahre sind vergangen. In dieser Zeit wurden mindestens 100.000 Menschen getötet, mindestens 20.000 Frauen vergewaltigt, einige hunderttausend verwundet, Gefangenenlager für alle drei Ethnien errichtet, und einige Millionen Menschen vertrieben. Haben wir in den drei Jahren unsinnigen Mordes nichts gelernt? Von den Erniedrigungen alles Menschlichen, das wir vor 1992 hatten? Von Hunger Durst und Kälte? Wohnt in Bosnien-Herzegowina eine neue Generation Menschen, die bereit ist zu verzeihen und auf Versöhnung? Dass diejenigen Kinder sich gegenseitig entschuldigen, die im Krieg aufgewachsen sind? Sehr klein und erbärmlich wirkt dieses Wort „ENTSCHULDIGE, VERZEIH“ auf eine Mutter, der alle Kinder getötet wurden. Es wird nicht ihren Schmerz lindern, nicht ihre Einsamkeit mildern, nicht ihre Hilflosigkeit über das böse Unrecht, das ihr widerfahren ist, auslöschen. Es wird nicht ihre geflossenen Tränen wegwischen und auch diejenigen nicht, die noch fliessen werden. Wenn wir nur einen kleinen Teil vom Schmerz des anderen spüren könnten, wenn wir nur fähig wären, zu zeigen, dass zumindest ein bisschen Menschlichkeit in uns steckt. Wenn wir gleichgültig gegenüber den Leiden der Menschen sind, sind wir kein bisschen besser als Tiere. Doch sind wir überhaupt besser? Vor einigen Tagen sah ich mir eine Dokumentation auf „National Geographic“ an. Eine Elefantenkuh verlor kurz nach der Geburt ihr Junges. Die Mutter wollte nicht von dem Jngen weichen. Sie schubste den toten Körper mit dem Rüssel, in der Hoffnung ein Lebenszeichen zu erkennen. Der Körper fing an zu verwesen, die Mutter ließ nicht von ihm ab. Auch dann nicht, als die Knochen zum Vorschein kamen. Die Herde kam umsonst, um sie abzuholen. Denn sie blieb. Sie starb an Hunger und Durst. Die Kamera nahm alles auf, die Regisseure haben uns eine Geschichte ohne ihr Einwirken erzählt. Ein reales Geschehen. Keiner hat „Cut“ gerufen. Die Kameras haben die Morde von Kindern in Sarajevo aufgenommen. Die Morde von Kroaten in Vukovar. Flüchtlingskolonien von 1,5 Millionen serbischen Flüchtlingen aus Kroatien. Die Produktion hat während dieser Aufnahmen nicht interveniert. Die Regisseure haben nicht „Stop“ gerufen während der Morde, beim Abschlachten von über 8000 moslemischen Männern und Jungen in Srebrenica. Die Republika Srpska (RS) feiert heute:

  • Eine Verfassung, die Bosnien-Herzegowina geteilt und somit die ethnische Säuberung legalisiert hat
  • Die Regierung RS feiert „neuentdeckte Erdölfelder“ – wir werden zu einem weiteren Saudi Arabien
  • RS feiert nie von Russland empfangenen 850 Mio. Kredit
  • RS feiert weitere drei Schulden
  • RS feiert erhöhte Stromkosten
  • RS feiert eine Regierung, die nie einen Pressetermin gegeben hat
  • RS feiert ihre Aussage an entlassene Mitarbeiter, dass sie nichts mit ihnen zu tun hätten und sie selbst mit der Situation klar kommen müssen.

Morgen wird Milorad Dodik, der Präsident dieser RS-Entität, zum serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic reisen… Nein, wir befinden uns nicht im Jahr 1992. Was feiert Bosnine-Herzegowina?

  • Halbe Million Arbeitslose
  • Versprechen auf 100.000 neue Arbeitsplätze
  • Privatisierung aller Unternehmen
  • Zwei ethnische Entitäten
  • Ein Distrikt
  • Zehn Kantone
  • Drei Präsidenten (Ausländer meinen immer, ich würde Witze machen, wenn ich ihnen davon erzähle)
  • 170 Minister mit Personal (Fahrer, Berater, Kaffeekocher, Geliebte… Alles wird von Steuern der Bürger bezahlt, die kaum was verdienen)
  • Höchste Inflation seit Ende des Krieges
  • Neuer Ministerrat
  • Zweite Kammer des bosnischen Parlaments
  • Abgeordnete höchste Gehälter und Zulagen

Was feiern die Kroaten?

  • Teilung Bosnien-Herzegowinas in vier territoriale Einheiten (Idee ist mindestens zehn Jahre alt, entstand nach 1995)
  • Unterstützung Karamarkos (Vorsitzender der HDZ-Partei) zur Verwirklichung dieser Idee (Kroatien hat die Teilung Bosnien-Herzegowinas befürwortet)
  • Eigener „TV-Kanal“ in kroatischer Sprache, den es vielleicht geben wird oder auch nicht
  • Zwei Schulen unter einem Dach (vgl. http://bit.ly/1E6RipJ)
  • Neue alte Brücke, die man nicht überquert
  • Mostar, eine geteilte Stadt

Während ich mir eine Zigarette anstecke, kommt mir Meša Selimović (bosnischer Schriftsteller) in den Sinn… ‚Irgendetwas stimmt mit mir nicht oder mit der Welt’, hat er mal geschrieben. Ich versteh die Kroaten und die Bosniaken, aber auch die Serben. Wir brauchen keinen Dolmetscher. Alles oben aufgeführte kann ich wie folgt zusammenfassen: entweder hat jemand die Sketche von „Top Lista Nadrealista („Monty Python’s Flying Circus des Balkan, vgl. http://bit.ly/1M0MuRO) aufgeführt oder wir sinken gerade in den tiefsten Abgrund. Sowohl in den wirtschaftlichen als auch politischen. Mahnen uns Markale? Viktor Bubanj? Mostar, Posavina, Vukovar? Srebrenica, Potočari, Mrkonjić Grad? Hört man die Lautlosen Schreie aus Tomašice, dem größten Massengrab in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg? Dem Ort, in dem 1100 – 1200 Bosniaken aus Prijedor verscharrt wurden? Erinnert sich noch irgendjemand an Boško i Admira, die als Romeo und Julia von Sarajevo in die Geschichte eingingen? Die von Scharfschützen erschossen wurden, während sie aus der Stadt über eine Brücke flüchteten? Ein Serbe und eine Bosniakin … Wie viele solcher Paare, die wir „gemischt“ nennen, leben noch in Bosnien-Herzegowina? Wie viele „gemischte Kinder“ gibt es, die niemandem angehörig sind? Ja, es werden weiterhin solche Ehen geschlossen und Kinder, die „keinem angehörig“ sind, geboren! Kann sich noch jemand an die Mütter erinnern, die ich ganz am Anfang erwähnt habe? An die vergewaltigten Frauen? Ich habe über eine Bosniakin gehört, die sehr jung während des Krieges war. Sie hat solch ein Martyrium unter dem Patron Milan Lukic erlebt. Sie haben sie vergewaltigt und ihr Schnitte mit Messern beigefügt. Vor ihren Eltern und Nachbarn. Man gab ihr den Status „ziviles Kriegsopfer“ und eine Wohnung in Sarajevo, die sie nie verlassen hat. NIE! Seit Jahren sitzt sie in der Wohnung und geht nie raus auf die Straße. Gibt es irgendjemanden da draußen, der „CUT“ ruft? An alle, die heute diesen Staat feiern, diese Unmenschlichkeit, dieses Ghetto, das wir geschaffen haben, in dem wir nichts zum Essen haben – Ehre seinem Andenken!

Die Journalistin Nadja Diklic lebt in Banja Luka in Bosnien-Herzegowina. Diese Kolumne schrieb sie für www.politickimeridijan.com, wo sie als Chefredakteurin tätig ist.

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