Damir Imamović: „Beim Sevdah-Lied ‚Sarajevo‘ stehen Verzweiflung und Hoffnung im Vordergrund“

Damir Imamović: "Beim Sevdah-Lied 'Sarajevo' stehen Verzweiflung und Hoffnung im Vordergrund" 1
„… In Dir sind viele alte Lieder / über Liebe, worüber man nicht singen darf / all Deine Kinder werden schweigen / traurige Tage, Stunden und Minuten / sie werden sie hassen und vergiften lehren / über die weite Ferne zu träumen …“ Hört man den Worten des aktuellen Sevdah-Songs „Sarajevo“ von Damir Imamović zu, überfällt den Zuhörer  eine unendliche Traurigkeit, in der sich doch noch ein Funken Hoffnung findet. Wie in der gnostischen Lehre, bei der in der absoluten Dunkelheit ein Lichtfunken aus der negativen Materie befreit kann. Sicher, bei der bosnisch-herzegowinischen Musikgattung Sevdah wird man sentimental, weil die Melodie alleine schon die Seele berührt. Das beweisen die Tränen des Publikums, welche die Worte nicht verstehen. Der Inhalt erzählt historische Geschichten des Landes, die bis zu 600 Jahre alt sind. Sie handeln über die Liebe, den Alltag, historische Ereignisse. Doch dieser Sevdah ist innovativ. Er ist eine moderne Variation, die im traditionellen Kontext über die aktuelle politische Lage der Stadt Sarajevo erzählt. Es ist eine historisch multikulturelle Stadt, in der ethnisch geprägte Politiker mitsamt Anhängern um ihre Vormachtstellung mit allen Mitteln  kämpfen. Der Leidende ist der Bürger. Somit reiht sich diese Sevdalinka in die wichtigen historischen Zeugnisse des Landes, das für die nächsten Generationen erhalten bleiben und ermahnen soll.

Während des Balkankrieges in den neunziger Jahren des letzten Jahrtausends geriet der Sevdah in den Hintergrund. Damir Imamović ist einer der jungen Künstler, der sich seiner angenommen hat und ihn neu interpretiert. Sevdah begleitet den in Sarajevo geborenen Künstler sein Leben lang. Sein Großvater Zaim Imamovic war einer der größten Sevdah-Sänger des Landes. Im Interview erzählt er, weshalb er diesen Song geschrieben hat und weshalb Sevdah nur überleben kann, indem die alte Tradition in Frage gestellt wird.

Damir Imamović in seinem aktuellen Video
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Seit wann singen Sie Sevdah? Hatte Ihr berühmter Großvater Zaim Imamovic Einfluss auf Sie?

Sevdah habe ich schon immer gesungen, professionell erst seit 2005. Mein Großvater ist vergleichbar mit Eric Clapton für den Blues: Es gibt kaum jemanden, den er nicht beeinflusst hatte. Solche Künstler wie ihn gab es selten, dessen Beeinflussung so weit ging, dass der persönliche Stil dem Mainstream einer ganzen Generation angepasst wurde.

Können Sie sich erinnern, welches Sevdah-Lied sie als erstes gesungen haben?

Nicht genau. Es kann sein, dass es das Lied „Koliko je sirom svijeta“ war. Eine wundervolle Sevdalinka, dessen Melodie sich in der sephardischen Tradition wieder findet.

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Was bedeutet Ihnen Sevdah?
Sevdah ist für mich eine ganzheitliche Schule von Gedanken, Leben und Kunst. Dabei denke ich nicht an die konservative, volkstümliche Version. Sevdah ist eine poetisch-musikalische Gattung, die durch Verschmelzung von Welten entstand.

Wie würden Sie jemandem Sevdah beschreiben, der diese Musikrichtung zum ersten Mal hört?

Ganz sicher würde ich Begriffe wie „Melancholie“, „Orient“ oder ähnliches benutzen.

Sie sind sehr engagiert, was den Sevdah anbetrifft. Sie singen ihn nicht nur, sondern Sie setzen sich auch ein, dass dieses alte bosnisch-herzegowinische Kulturgut erhalten bleibt. Ist diese Aufgabe schwer?

Ich muss Sie korrigieren: Ich empfinde mich nicht als ein „Hüter eines Schatzes“. Ich denke, Tradition muss eine Art Schule sein: über traditionelle Formen sollte das Handwerk erlernt und immer wieder in Frage gestellt werden. Das ist der einzige Weg, dass Sevdah als Genre weiterentwickelt wird. Hohler „Erhalt der Traditionen“, der durch ständiges Wiederholen auf ältere Generationen zurückgreift ist kurzsichtig und unendlich langweilig.

Mit welchen Vorurteilen haben Sie zu kämpfen?

Ich mache immer Witze darüber, dass ich im Westen als Balkanese und auf dem Balkan als Westler angesehen werde. Das ist eine paradoxe Situation, die ich zum Vorteil nutze. Ich kann mit beiden Welten kommunizieren und meines Erachtens ist das die Zukunft jeder Kunst.

Sevdah ist wieder populär. Viele neue jungen Künstler singen ihn auf eine neue moderne Art bringen ihn auf internationale Bühnen. So wie Sie. War es anfangs schwierig, an Akzeptanz zu gewinnen?

Als ich 2005 anfing meine ersten Konzerte zu geben, war es schwierig das Publikum dahin zu bringen, Sevdah ernst zu nehmen. Ältere Genrationen haben Sevdah den Volksmusikern überlassen. Anfangs war meine große Herausforderung die Aufmerksamkeit der Hörer zu gewinnen und sie dazu zu bringen, zu hören, worüber dieses Lied spricht, welche Formen das Lied hat und wie es sich weiterentwickelt. Leider sah man damals den Sevdah als Partymusik an, was der größte Teil der Balkanmusik auch ist. Es kostete viel Zeit und Missverständnisse, um mir diese Position zu erkämpfen. Wenn ich heute sehe, dass bei jüngeren Künstlern schon auf dem ersten Konzert ein Publikum sitzt, das konzentriert zuhört, dann denke ich, dass ich meine Arbeit gut gemacht habe. Darauf bin ich stolz.

Damir Imamović und seine Saz (Foto: Ton Maas)
Damir Imamović und seine Saz (Foto: Ton Maas)

Sevdah erzählt die Geschichte Bosnien-Herzegowinas. Nun haben Sie eine neue Sevdalinka geschrieben, die Sie „Sarajevo“ genannt haben. Sie ist neu und ungewöhnlich, da Sie über die aktuelle Lage der Stadt singen. Wenn man den Worten des Liedes lauscht, befällt einen die Angst, denn man wird mit der nackten Realität konfrontiert. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, das Lied zu schreiben?

Es war sehr leicht. Völlig unbewusst und schmerzlos habe ich mein Instrument in die Hand genommen. Es hat sich quasi von selbst geschrieben.

Wann haben Sie beschlossen, das Lied „Sarajevo“ zu schreiben?

Es gab keine bewusste Absicht, sich hinzusetzen und solch ein Lied zu schreiben. Ich kam nach einem netten Abend mit Freunden nach Hause, die mir eine alternative Geschichte Sarajevos eröffneten. Das Lied kam einfach aus mir heraus. Sicherlich stand die Verzweiflung im Vordergrund aber auch die Hoffnung, dass sich Dinge zum Besseren wenden können. Wir leben in einer Zeit des Pessimismus, der so stark durchdringt, sodass alles zum Nihilismus degradiert. Wir bauen keine positiven Traditionen von Emanzipation. Sogar die Idee der Tradition haben wir den Konservativen überlassen. Das müssen wir ändern, falls wir uns was Gutes tun wollen.

Wie ist die Reaktion auf Ihr neues Lied?

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Die Reaktionen sind bis jetzt sehr gut! Das Video wird sehr stark angesehen und die Kommentare, die ich bekommen habe, sind ausgezeichnet.

Wird Ihrer Meinung nach Sarajevo die Situation überleben, wie es in der Vergangenheit der Fall war?

Irgendein Sarajevo wird überleben. Wir werden sehen, welches.

Was bedeutet Ihnen Sarajevo?

Sarajevo ist meine Heimatstadt, der Ort, in dem ich lebe, wo meine Familie, Eltern und Freunde leben. Ich reise viel, so bin ich nicht verurteilt, ausschließlich von Sarajevo und bezüglich von dem, was ich in Sarajevo mache, zu leben. Dennoch, die Musik, die ich spiele, hat hier ihren Ursprung und hier ist auch ihr Platz.

Das Lied „Sarajevo“ stammt aus dem Album ‚Dvojka‘, das am 29. April 2016 erscheint.
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