„Waiting for Godot“ – Annie Leibovitz besucht „Platz von Susan Sontag“ in Sarajevo

Annie Leibovitz am "Platz von Susan Sontag" vor dem Nationaltheater in Sarajevo (Foto: sff.ba)

„Ich bin nach Sarajevo gekommen, um bei der Hochzeit von der Tochter unseres besten Freundes Hasan dabei zu sein. Ich bin ihre Trauzeugin“, erzählt gestern Annie Leibovitz sichtlich gerührt in die Kamera. Und sie suchte den Platz im Herzen von Sarajevo auf, der ihrer langjährigen Freundin und Lebenspartnerin Susan Sontag gewidmet ist – den Platz vor dem Nationaltheater.

„Ich kam und verliebte mich in diese Stadt“

Vor gut 20 Jahren war sie das letzte Mal in Sarajevo. Ihre Freundin Susan Sontag bat sie, die belagerte Stadt zu besuchen. Sontag selbst reiste während des Balkankrieges neun Mal nach Sarajevo. Das erste Mal kam sie auf Einladung einer Hilfsorganisation, um sich zu über die Lage zu informieren und evtl. darüber zu berichten. Sie beschloss zu bleiben und der geschundenen Bevölkerung zu helfen. Auf die Frage weshalb sie blieb und eine tiefe Bindung zu dieser Stadt aufbaute, antwortete sie: „Ich kam und verliebte mich in diese Stadt. Es wurde mir klar, dass dies der Ort war, den ich liebte, den ich zu lieben vermag und es auch in Zukunft tun werde. Ich werde immer wieder hierher zurückkehren, wann auch immer ihre Bevölkerung mich darum bitten wird.“ Sie wohnte nicht all die Zeit, wie all ihre Medienkollegen, im Hotel Holiday Inn oder in der Basis von UNPROFOR, sondern hielt sich mit der Bevölkerung in Kellern auf, arbeitete bei einer Radiostation und unterrichte Kriegskinder. So auch Annie Leibovitz. Während ihrer Zeit in Sarajevo entstanden Fotos, die das Leid der Bevölkerung im Krieg wiedergaben. Unvergessen ist das Bild, auf dem ein umgestürztes Kinderfahrrad auf einer Blutspur zu sehen ist. Es stammt von einem Jungen, der von einer Granate getroffen wurde. Annie und Susan, die Zeugen davon wurden, nahmen den Jungen in ihrem Auto mit, um ihn zu retten. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. „Jeder, der neutral diesem Krieg gegenüber steht, ist Scheiße“ unterstrich Sontags Aversion gegenüber ihren Kollegen, die sich neutral oder gar nicht gegenüber den Gräueltaten äußerten. Sie war eine der ersten, die darauf aufmerksam machte, dass in Bosnien-Herzegowina ein Genozid an der Bevölkerung stattfand.

Warten auf Godot

1993 beschliesst Sontag, das Theaterstück „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett von 1949 zu inszenieren. Ein Stück über zwei Menschen, die an einem undefinierbaren Ort auf eine Person namens Godot warten, von dem sie nicht einmal wissen, ob sie überhaupt existiere. Ein Stück, das die Hoffnung der Menschen auf das vielleicht niemals Eintreffende wiedergibt: „Die Aufführung von “Warten auf Godot“ war nicht nur ein wichtiger historischer Moment für Sarajevo, sondern auch in der Kunstgeschichte Ende des 20. Jahrhunderts. Nach Susan Sontag begann das 20. Jh. in Sarajevo und endete auch hier“, schreibt der renommierte bosnische Journalist Senad Pecanin.

Haris Pasovic, damals 31 Jahre alt, war Produzent von Sontags 1993-er Produktion vom Becketts Theaterstücks. Die Rollen wurden mit kroatischen, serbischen und moslemischen Schauspielern besetzt. Bühne und Kostüme übernahm Ognjenka Finci, eine Jüdin.

Die Bedingungen waren schwer, es gab weder Wasser noch Strom, geprobt wurde bei Kerzenlicht. Essen war sehr knapp. Susan Sontag plünderte heimlich das Frühstücksbuffet bei Holiday Inn und brachte es den Schauspielern mit.

„Ich warte auf Clinton“

Am Tag der Aufführung schlugen Granaten in der Nähe des Theaters auf. Doch das Theater war gefüllt. Ein Zeichen der Bevölkerung, dass die Kultur in der Stadt weiterhin einen wichtigen Platz im Leben einnimmt. Der Presse erklärte Susan Sontag an diesem Tag: „Ich warte nicht auf Godot. Wie die meisten Bewohner von Sarajevo warte auch ich auf Clinton.“

Der Platz vor dem Nationaltheater trägt nun ihren Namen. Der Produzent Haris Pasovic bestätigt, dass dieser Platz der perfekte Ort für die Ehrung sei, da er sich im Zentrum der Stadt befände und somit Susan Sontags Name im Herzen von Sarajevo für immer verewigt wäre.

Am 28.12.2004 starb Susan mit 71 Jahren an Leukämie in New York. Hasan war bei Susan, als sie starb, erzählt Annie, während sie nach gut 20 Jahren wieder an dem Platz steht, an dem ihre große Liebe Susan Sontag einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte der Stadt setzte.

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