Balkantage: „Sind Sie die Dame, die auf der Toilette war?“

Balkantage: "Sind Sie die Dame, die auf der Toilette war?" 1

Ich war zum ersten Mal auf einer Veranstaltung von Balkantage in München. Aus vorherigen Erzählungen wusste ich: entweder man mag sie oder nicht. Mein Fazit: Die Veranstaltung war einen Herausforderung, sowohl für die Mitarbeiter des Konzertsaals wie für einige zahlenden Gäste, mich eingeschlossen. Ein Erfahrungsbericht.

„Lass uns zum Divanhana-Konzert gehen“, bat mich meine Freundin. Zwar war ich eine Woche vorher in Stuttgart auf ihrem Konzert,  doch die Freude, Divanhana wieder zu treffen und vor allem singen zu hören, überwog. So machten sich drei Mädels inclusive mir auf dem Weg nach München.

Die Veranstaltung fand im Carl-Orff-Saal im Gasteig, dem ‚Zentrum des kulturellen Lebens in München‘ im Rahmen der sog. Balkantage statt. Eine Viertelstunde, bevor das Konzert begann, gingen wir in den Saal. Und damit begannen Drama und Komödie gleichzeitig in mehreren Akten. Es war freie Platzwahl – mutig bei einem Balkankonzert. Das ist wie Level 10 beim Spiel „Reise nach Jerusalem“. Zu dritt waren wir auf der Suche, um gemeinsam nebeneinander sitzen zu können. Etliche Plätze waren frei, doch die wurden von ziemlich sich kämpferisch gebenden Balkanesinnen verteidigt. Auch mein Versuch Plätze zu verschaffen mit der Erklärung: „Wer zuerst da ist, malt zuerst – das scheint zumindest das Motto der Veranstaltung“, scheiterte kläglich. Also gaben wir uns geschlagen und trennten uns: zwei von uns sassen in der einen Reihe links am äußersten Rand, eine Freundin fand ihren Platz genau vor uns. Der Blick war immerhin perfekt- nicht nur auf die Bühne sondern den kompletten Saal. Die ersten Reihen in der Mitte waren reserviert. Das ist nichts Ungewöhnliches. Gibt es bei jedem Konzert. Normalerweise werden DIN A4-Zettel mit dem Namen des Gastes auf dem Platz gelegt oder man schreibt einfach nur ‚reserviert‘ drauf. Sadija Klepo, Gründerin der Veranstaltung und des 1992 gegründeten Migrantenverein Hilfe von Mensch zu Mensch e.V., machte es anders. EHRENGAST stand in ganz dicken und großen Lettern auf dem weissen Papier, das auf die Rückenlehne angebracht wurde, damit es der ‚Pöbel‘ in den hinteren Reihen die ganze Zeit im Blickwinkel hatte, der 20 € für die Tickets bezahlen und sich um die Plätze prügeln musste! „Hilfe von Mensch zu Mensch“ muss wohl in diesem Zusammenhang anders interpretiert werden.

Die Chefin persönlich begrüßte die Gäste, während immer noch einige von ihnen verzweifelt einen Platz suchten. Angekündigt wurde die Vorband von Divanhana. Eine Dame Namens Milica Milisavljevic Dugalic, die auf der Webseite der Veranstaltung als großer Star der Jugoslawischen Schlager-Szene vorgestellt wurde. Ich kannte sie nicht und meine beiden Freundinnen auch nicht. Der Reaktion nach zu urteilen die anderen Gäste auch nicht. 50 Minuten würde der angekündigte „Jugo-Star“, die sog. Balkan-Queen des Ethno-Songs, singen. Dann ging es los. „Hast Du Ohrstöpsel dabei?“ flüstert mir die Freundin neben mir zu. Die Freundin vor uns lacht.  Ich sah meine Freundin fassungslos an. Die Dame, die für ihr reifes Alter sehr gut aussah, sang alte Lieder aus Serbien, Makedonien und Bosnien-Herzegowina. Sie bewegte sich dabei wie eine Pseudo-Schamanin in Slow Motion. Ist man schon einmal in den Genuss der Stimme der Sängerin Naida Catic von Divanhana gekommen, klang diese von Frau Milisaljevic Dugalic alles andere als angenehm. Verstehen Sie mich nicht falsch – sie traf alle Töne. Ich versuche es mal so zu erklären: Milica Milisavljevic Dugalic als Vorband von Divanhana auftreten zu lassen wäre dasselbe, wenn Menderes, den ich wahnsinnig lieb finde, als Vorgruppe von U2 singen würde. Auch er trifft alle Töne, aber leider nicht das Niveau. Sicherlich hat sich die Sängerin auf das Konzert gefreut, doch ich glaube nicht, dass die Einladung im Nachhinein für sie vom Vorteil war. Die Begeisterung des Publikums hielt sich in Grenzen. Sie tat mir tatsächlich leid! Ganz nach dem Motto: Wenn Du solche Freunde wie die Veranstalter von Balkantage hast, brauchst Du keine Feinde mehr.

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So nutzte ich die Zeit und ging erst Mal auf die Toilette. Dann erreichte mich auf dem Rückweg ein Anruf. Macht nichts, so konnte ich einige Minuten länger dem Konzert wegbleiben. Während des Telefonats fielen mir Gäste auf, die aufgebracht mit der Security vor dem Konzertsaal diskutierten. Trotz gekaufter Karten, die sie in der Hand hielten, wurden ihnen der Einlass verwehrt. Grund: alle Plätze waren belegt. Wurden tatsächlich mehr Karten, als Sitzplätze vorhanden waren, verkauft? Ich konnte mich leider nicht erkundigen, denn es kam ein weiterer Anruf rein. Überrascht las ich den Namen meiner Freundin, die im Konzertsaal drin saß. Ich nahm ab und aufgeregt bat sie mich, sofort in den Saal zurück zu kommen. Man wollte meine Freundinnen des Saals verweisen, weil sie meinen Platz nicht hergeben wollten. Die Security wollte meinen leeren Platz mit jemandem anderen besetzen. Meine Freundinnen wiesen darauf hin, dass der Platz vergeben sei. Es kommt zu einer Diskussion. Die Security-Dame wird handgreiflich und versucht meine Freundin aus dem Saal zu zerren. Als ich in den Saal eintreten wollte, fragt mich ein Herr der Security: „Sind Sie die Dame, die auf der Toilette war?“ Ich bin einige Fragen von Männern gewöhnt, aber die war mich neu. Verdutzt blickte ich ihn an und bestätigte. „Ja, ich war auf der Toilette.“ Wie damals in der Schule. Die Türöffnerin sah mich giftig an und flüsterte mir in einem sehr starken Akzent: „Sie warrrrrren aberrrrrrr seeeeeeeeehrrrrrr lange auf Toiletteeeeee!“ Als ich was erwidern wollte, schob mich schon die zweite durch die Tür und sagte hinterher: „Gehen Sie herein und geniessen Sie das Konzert.“ Leichter gesagt als getan, nachdem die rostige Stimme auf mein Ohr traf. Die restliche Minuten hiess es: Ohren zu und durch.  Als sich die Sängerin verabschiedete, waren auch Buh-Rufe im Publikum zu hören. Verständlich aufgrund der Tatsache, dass, ich wage es mal zu behaupten, 99 Prozent wegen Divanhana da waren. Dennoch, die offenkundige Aversion hätte nicht sein müssen.

Divanhana
Divanhana

Nach einer kurzen Pause war endlich Divanhana an der Reihe. „Als uns eröffnet wurde, dass wir eine Stunde und zehn Minuten Zeit haben, um zu singen, mussten wir uns mit dem Veranstalter anlegen“, scherzt Neven Tunjic, der Pianist der Gruppe. Eine Stunde und zehn Minuten? Eigentlich dauern ihre Auftritte mindestens zwei Stunden. Doch sie mussten 50 wertvolle Minuten für die Vorgruppe opfern. Schnell erkannte man den künstlerischen Unterschied. Als Vokalist Naida den ersten Ton sang fiel aller Stress von uns ab. Das Publikum sang kräftig und klatschte fleissig mit. „Weshalb sind denn die Lichter im Saal noch an“, fragte ich meine Freundin. Grinsen blickte sie demonstrativ rechts zur Seite. Mitarbeiter vom Gasteig waren während des Konzerts damit beschäftigt, weitere Gäste unterzubringen. Ein Teil der sog. Ehrengäste kam auch recht spät rein, was sich als störend erwies. Ob sie wohl auch zu lange auf der Toilette saßen?

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Bevor Naida Catic ein Lied a capella sang, erzählte sie die tragische Liebesgeschichte, worüber das Lied ging. Zwischenrufe eines Herrn, der sich für lustig hielt, hallten aus dem Ehrengast-Bereich, gefolgt vom Lachen der anderen. „Das ist nicht lustig, sondern ernst“, erklärt die Sängerin von Divanhana. Stille im Raum und wahrscheinlich das eine oder andere VIP-Gesicht, das vor Scham rot wurde, breitete sich aus. Gut eine Stunde mit der wundervollen Band sind schnell verflogen. Zum Schluss begannen die Ehrengäste Kolo zum Sevdah zu tanzen, vor dem „Pöbel“, die 20 € bezahlt haben, sich ihre Plätze haben hart erkämpfen müssen, und nun auch nichts mehr sahen, ausser die schlechten Tanzkünste der VIP’s.

Die Zugabe-Rufe waren so laut, dass Divanhana zwei Mal auf die Bühne kam und uns zwei weitere Lieder schenkte. Bei ihrer zweiten Zugabe schritt ein Veranstalter während des Gesangs auf die Bühne und überreichte der singenden Naida den Blumenstrauss. Sie musste mit dem Gesang aufhören, sich schnell dafür bedanken, ihn auf den Boden legen und fix weitersingen. Die Violinistin der Gruppe ging leer aus. Eine Blamage gegenüber dem Bandmitglied Ivana Djuric. Das hielt den männlichen Balkantage-Kollegen nicht davon ab, in das Publikum grinsend wie der King Dingeling breitbeinig schreitend die Bühne zu verlassen, als ob er Naida gerade in sein Bett gezerrt hätte.

Zum Abschluss gab es keine ausführlichen Dankesworte seitens von Sadija Klepo, sondern die dringliche Bitte im Befehlston, man möge so schnell wie möglich den Saal verlassen, denn dieser war nur bis 22.00 Uhr gebucht. So drängten sich die Gäste schnell zum Ausgang. Jawoll, für 20 € mussten man sich auch sportlich betätigen. Draussen angekommen, beschwerte sich meine Freundin beim Verantwortlichen des Veranstaltungsmanagements über die Handgreiflichkeit seiner Mitarbeiterin während des Konzerts. Ich sprach mit ihm auch und erklärte ihm, dass es ziemlich naiv sei, ein Balkankonzert mit freier Platzwahl zu veranstalten. „Das liegt leider nicht in unserem Ermessen, denn jeder Veranstalter kann selbst entscheiden. Doch glauben Sie mir, letztes Jahr waren Balkantage auch hier bei uns und es war genauso ein Chaos“, erklärte er mir. Weiterhin erzählte er, dass die Feuerwehr das heutige Konzert abbrechen wollte, nachdem sie sah, dass in den Gängen des Saals Gäste standen, weil keine Plätze mehr frei waren. „Der Veranstalter hatte Karten für die Sitzplätze, auf denen die Ehrengäste saßen, für den Verkauf frei gegeben.“ Somit erklärte sich die Platznot von selbst. Wahrscheinlich braucht der Verein von Sadija Klepo Geld und da greift man wohl auch zu ungewöhnlichen Methoden, in der Hoffnung, dass es keinem auffällt.

Nach dem Konzert schrieben mich einige Freunde an, die auch dort waren. In dem Chaos hatten wir uns nicht getroffen. „Wir haben das Konzert noch vor dem Ende verlassen. Hinter uns saß eine Lady, die ihren deutschen Freunden laut den Sevdah erklärte und das auch noch falsch. Nach einiger Zeit war dies unverträglich. Daher beschlossen wir zu gehen.“ erzählt mir eine Freundin. Somit blieb ihnen zumindest der elegante Rausschmiss erspart.

Ich war das erste Mal auf einer Veranstaltung der Balkantage. Ob ich einfach nur Pech hatte? „Für uns als Personal ist diese Veranstaltung immer eine Herausforderung.“ erklärt mir ein Mitarbeiter vom Gasteig. Für mich als zahlender Gast war sie es auch.

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