Belgrad – Fićo connects
Die serbische Hauptstadt Belgrad mit einem Fićo zu besichtigen ist eine Reise in die Vergangenheit. Der legendäre jugoslawische Wagen erlebt gerade ein Revial. Er ist mindestens genauso beliebt wie zur Zeit Titos in allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien.
Mein Reiseführer Neno startet seinen Wagen. Schon brummt er los. Wir sind in Belgrad unterwegs. Ich bin gespannt und aufgeregt, denn ich habe das Glück, die Hauptstadt Serbiens und ehemals Jugoslawiens mit einem Fićo zu erkunden.
Mein Auto in Belgrad – der Fićo Typ 600
Fićo, in Serbien auch Fića, in Kroatien und Slowenien Fićek genannt, ist der Spitzname für Typ 600 und später 750 der jugoslawischen Automarke Zastava. Es ist ein Lizenznachbau des Fiat 600. Vergleichbar mit dem VW Käfer in Deutschland wurde er schnell von der Bevölkerung Jugoslawiens angenommen. Ab 1955 war er zu haben. Die Version, wie sie heute bekannt ist, wurde von 1968 bis Oktober 1985 gebaut.
Im Fićo leben und sterben
«Ein Faktor des Erfolgs war sicherlich, dass er günstig war», erzählt Peđa Milosavljević , Präsident vom Belgrader Verein der Fićo Fahrer (Beogradsko Udruženje Fićista – BUF), den ich letzten Sommer in München beim internationalen Fićo-Treff kennengelernt habe. „So war Fićo war nicht nur das erste Auto vieler Jugoslawen, das nur als Transportmittel diente. Er war ein Teil der Familie. Mit dem Fićo fuhr man zur Familie und Verwandten oder in den Urlaub im In-und Ausland. In ihm fand die erste Liebe statt, er diente zur Hochzeit und Beerdigung. Und ein Fićo wurde in einer Familie an die nächste Generation weitergegeben.»
Neno und sein Fićo
Auch in Nenos Kindheit spielte der kleine rundliche kompakte Wagen, der einer Comic-Figur, dem Partizanen und Kriegskurier Fića, seinen Spitznamen verdankt, eine prägende Rolle. Er ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Nur einige Jahre verbrachte er als Kind in Titos Jugoslawien: «Wenn ich mit meinen Eltern als Kind im neuen Mercedes meines Vaters aus Deutschland nach Belgrad kam, versammelten sich alle um den Wagen und staunten Bauklötze. Ich saß schon längst im Fićo meines Onkels und konnte die anderen null verstehen. Für mich stand nie die Frage, ob ich mir einen Fićo hole, sondern wann ich es tue“, erinnert er sich, während wir durch die Straßen Belgrads fahren.
„Jeden Tag mit ihm in der Stadt bringt eine neue Sternstunde für die Ewigkeit. Eine Ausfahrt pro Tag ist meine gute Tat für meine Mitbürger.“
Fahren im Fićo
Es ist schon dunkel. Ich bin überrascht, wie gemütlich und geräumig der Fićo ist. Immer wenn wir an einer roten Ampel halten müssen, stehen schon Menschen am Auto, freuen sich, winken uns zu und machen Fotos. Oft muss Neno sein Fenster öffnen und Fragen beantworten. Auch Verkehrspolizisten, die einfach mal freudestrahlend einen Blick in die Knutschkugel werfen möchten. „Jeden Tag mit ihm in der Stadt bringt eine neue Sternstunde für die Ewigkeit. Eine Ausfahrt pro Tag ist meine gute Tat für meine Mitbürger“, grinst Neno sichtlich glücklich und zufrieden.
In Belgrads Innenstadt – Bohemienviertel Skardarlija
Wir parken den Wagen in der Innenstadt. Blitzeblank steht er da und der schwarze Lack glänzt im Schein der Straßenlaterne. Natürlich bleibt er lange nicht alleine. Schon bildet sich eine Menschentraube um ihn. Es tut mir leid, ihn zurück zu lassen. Doch ich werde belohnt. Unser Ziel ist das Bohemeviertel Skadarlija in der Altstadt. Mit all seinen Restaurants und der daraus klingenden Musik ist es mit dem Pariser Montmartre vergleichbar.
Im Restaurant Šešir moj
Wir verbringen den Abend im bekannten Restaurant „Šešir moj“, was übersetzt «Mein Hut» bedeutet. Man fühlt sich in die Zwanziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts versetzt. Die Wände sind mit Holz verkleidet und mit Gemälden behängt.
Restaurants spielen in Belgrad eine großen Rolle, denn hier traf und trifft sich die Künstlerszene, hier waren Geburtsstätten wunderbarer Werke und Verbindungen. Unser Tisch wird mit landestypischen Vorspeisen reich belegt.
Während ich mich durchprobiere kommen Roma-Musiker an unseren Tisch und spielen alte Belgrader Lieder. Eigentlich kann ich nichts mehr essen, doch schon wird, typisch für den Balkan, der Hauptgang serviert. Ich bekomme «Karađorđeva šnicla», eingerolltes paniertes Schweineschnitzel, gefüllt mit Schinken und Käse. Natürlich ist die Portion doppelt so groß als gedacht. Im Nachhinein bin ich froh darüber, denn die Nacht wird lang. Sehr lang. «Woher kommt ihr?», fragt mich Marko, der Harmonika-Spieler. «Aus Sarajevo», antworte ich. «Aaaaahhh, dann werden Euch Eure Zigeuner ein paar schöne Sevdalinke spielen», strahlt er mich an. Ich werde rot. Er sieht mich an und sagt: «Du bist nicht auf dem Balkan aufgewachsen, stimmts?» Ich nicke. «Für uns ist Zigeuner-Musik kein Schimpfwort, mach Dir keine Sorgen», zwinkert er mir zu und fängt mit seiner Band alte bosnische Musik an zu spielen.
Wir sind nicht die einzigen am Tisch, die wehmütig werden und singen. Es singt das ganze Restaurant mit! Ich bin überrascht! Wir prosten uns gegenseitig zu, lächeln uns an und verfallen in Nostalgie. Es fliesst auch die eine oder andere Träne. Neben uns sitzt ein kleiner recht fülliger Italiener und wiegt seinen Kopf zur Melodie. «Er ist seit heute Nachmittag da und genisst die Musik. Er meinte, so etwas schönes habe er noch nie gehört», erzählt uns der Kellner. Einen Tisch weiter sitzt ein Londoner, dessen großen Augen vor Freude und Erstaunen strahlen: «Ich habe so etwas noch nie erlebt. Dabei bin ich als Designer sehr viel auf dieser Welt unterwegs!» Zur späten Stunde, es ist schon nach ein Uhr nachts, wird es schnell, laut und fröhlich. Keiner sitzt mehr am Tisch, wir tanzen Kolo, den traditionellen Volkstanz. Es fliesst viel Geld in die Taschen der Musiker und bei uns reichlich Wein und Bier.
Mit einem Fićo fühlt sich ein Mann wie ein Mann
Am nächsten Tag bin ich erstaunlicherweise gut drauf. Vielleicht sind es die Glückshormone, dass ich wieder mit dem Fićo fahren darf. «Guten Morgen», ertönt es aus der Garage, die eher einem Labor gleicht. Kein Staubkorn ist zu sehen und auch dem kleinsten Teil ist ein Platz ordentlich zugewiesen. Ich habe schon schlechtes Gewissen, den cleanen Raum mit Schuhen zu betreten. Neno ist schon bei seinem kleinen Wagen in der Garage und poliert ihn. Natürlich trägt er Schuhe. Sneakers, auf dem ein Fićo abgebildet ist. «Eine Sonderanfertigung aus L.A.», grinst er, wärend seine grünen Augen nicht von der Haube des Wagens weichen. Er könnte ja einen Mikrofleck übersehen haben, der schnell mit dem Tuch entfernt werden muss. 1250 Euro hat er für ihn bezahlt und weitere 2000 Euro investiert.
Er schaut zum bewölkten Himmel: „Nicht gut. Regen schadet dem Lack. Wir fahren trotzdem. Umdrehen können wir immer noch.“ Heute ist eine Stadtrundfahrt auf dem Plan. „Dann schauen wir mal, ob er uns überall hinbringt.“ Das ist tatsächlich keine Floskel. Ein Fićo kann einfach mal stehenbleiben. Doch das ist für einen Fićo-Fahrer nicht schlimm. Im Gegenteil. «Er ist handlich und übersichtlich. Keine überflüssige Elektronik, keine Helferlein. Und bei ihm kann sich Mann noch als Mann fühlen. Wenn was kaputt geht, kann man es meistens direkt noch an Ort und Stelle richten. Es ist nicht so wie mit nem modernen Auto, mit dem man als ein Häufchen Elend am Straßenrand steht und darauf wartet, abgeschleppt zu werden.“ Wir bleiben ein einziges Mal stehen und tatsächlich ist der Schaden schnell behoben.
Zu Besuch bei Tito
Wir fahren zum Haus der Blumen, Titos Grab, das im Nobel-Viertel Dedinje liegt. Und wieder ist es eine Reise in die Vergangenheit. Dieses Mal in das Jugoslawien der siebziger Jahre. Mit Ehrfurcht schreite ich über die Fließen zur Terrasse, von wo aus man über Belgrad blicken kann. Die Villa wurde 1975 erbaut und ist weitläufig und hell.
Wachsendes Interesse
Doch auch sie bleibt vom Zerfall nicht bewahrt. An einer Wand ist eine Kurve zu sehen, wie sich die Besucherzahl veränderte. Sie ist während des Balkankrieges vor 25 Jahren und danach fast konstant bei Null. Die letzte paar Jahre steigt sie steil nach oben. Daneben gedruckte Briefe aus der ganzen Welt, die davon erzählen wie sehr sie den Frieden und den Zusammenhalt zur Zeit Jugoslawiens vermissen.
Der Fićo erinnert an vergangene Zeiten
Der Fićo trägt zu dieser Nostalgie und Erinnerung mit bei. „In Jugoslawien haben wir Frieden und Wohlstand genossen. Dann kam der Balkankrieg. So verwundert es nicht, dass die Menschen diesen kleinen Wagen mit der Zeit verbinden, in der sie glücklich und sorglos lebten“, erklärt mir Peđa Milosavljević vom BUF in Belgrad und fügt noch hinzu: „Der Fico zeigt uns, was für eine Dummheit wir vor 25 Jahren gemacht haben.“ Er denkt an den Balkankrieg. „Schon Giorgio Andrian von der UNESCO benutzte den Slogan „Ficia connecting people“. Heute ist er Mitglied in unserem Club. Und er hat Recht. Wegen dem Fićo habe ich wunderbare Menschen kennen gelernt, nicht nur in Serbien, sondern ex-Yu-weit und außerhalb.
Dank Fićo bin ein besserer Mensch geworden
Peđa Milosavljević vom BUF
Mit vielen meinen Begegnungen bin ich bis heute befreundet. Viele haben mir geholfen oder ich ihnen. Heute haben wir ein Netzwerk aufgebaut und schicken uns gegenseitig Autoteile. Dank Fićo bin ein besserer Mensch geworden.“
Im Automuseum
Nachdem ich im Museums-Shop reichlich eingekauft habe, geht es weiter zum Lieblingsort von Neno, dem Auto Museum von Belgrad. Es ist kaum bekannt und ein absoluter Geheimtipp! Gegründet wurde es vom Autosammler Bratislav Petković und etwa 100 Objekte aus allen Epochen sind in der ältesten Autogarage Belgrads untergebracht. Man denkt, dass man noch altes Motoröl riechen kann.
Der Fićo – auch ein Fall für das Museum
Natürlich steht da auch ein Fićo. «Aber der ist nicht so schön wie meiner», betont Neno. Hier gibt es alles, was das Herz eines Autofans höher schlagen lässt: Maro-Gardon aus dem Jahre 1897, der legendäre Ford Model T von 1925, ein 1963er Jaguar MK2, ein «Adenauer» Mercedes C300 und Titos 1957er Cadillac. Die Autos werden heute gerne für Filmaufnahmen ausgeliehen. Das Museum ist nicht sehr groß, doch wir halten sehr lange auf. Selten gibt es ein Museum, in dem jedes einzelne ausgestellte Objekt interessant ist wie hier.
Bei Nikola Tesla
Danach fahren wir weiter zum Tesla-Museum, das in einer wunderbaren Villa aus dem Jahre 1929 in der Stadtmitte untergebracht ist. Hochgewachsen und schlank war Nikola Tesla, wie man am ausgestellten Anzug erkennen kann. Neben persönlichen Besitztümern erzählen Briefe und Dokumente von seinem Leben, Charakter und über sein Schaffen, das die Menschheit veränderte. Seine Asche ruht in einer kugelförmigen Urne, die im letzten Raum des Museums aufgebahrt wird.
Prachtmeile Knez Mihajlova
Abschliessend fahren wir zur Prachtmeile Knez Mihajlova, der Einkaufsmeile der Stadt. Die Gebäude in der Fußgängerzone wurden zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet.
„Wenn Du einmal davon trinkst, kommst Du immer wieder nach Belgrad.“
Neno
«Siehst Du diesen Brunnen? Er hat dieselbe Bedeutung, wie Eurer in Sarajevo. Wenn Du einmal davon trinkst, kommst Du immer wieder nach Belgrad», erklärt mir Neno. Ich trinke gerne daraus, und das nicht nur einmal.
Wir holen uns aus der Bäckerei Hleb i Kifle, das innen im Vintage-Style eingerichtet ist, salzige Kipferl und setzen uns neben dem Brunnen und geniessen die Aussicht auf die wunderbare Architektur, die von vergangenen Zeiten erzählt. Zum Abend essen wir Pljeskavica in Lepina, ein Rinder-Fleischpflanzerl, natürlich in XXL, im Fladenbrot mit Salat. Es ist günstig, macht satt und wird frisch gemacht.
Ada Ciganlija
Der letzter Tag vor meiner Abreise aus der Donaustadt ist dem Wasser gewidmet. Unser erstes Ziel ist Ada Ciganlija, eine Insel am Südufer des Flusses Sava, welcher in die Donau in Belgrad mündet.
Breite Strände laden zum Sonnenbaden ein, die von Einheimischen gerne und bei jeder Gelegenheit benutzt werden. Bei einem der vielen Cafés und Restaurants genießt man bei Speis und Trank die strahlende Sonne und sieht den Wasserskiern zu. Wir leihen uns Fahrräder aus und fahren entlang des Ufers. Uns kommen viele Radler, Jogger und Rollerblader entgegen.
Im historischen Kern Belgrads – Zitadelle Kalemegdan
Einen wunderbare Blick auf beide Flüsse, wo sie ineinander fliessen, erhält man von der Zitadelle Kalemegdan aus. Es ist ein beliebter Ort zum Verweilen, nicht nur für Touristen. Ich setze mich auf eine der Mauern, die bis ins 15. Jahrhundert zurück datieren, und blicke über die beiden Flüsse, die gemächlich und ruhig fliessen und eins werden.
Wir spazieren weiter, sehen uns eine kleine orthodoxe Kirche und berühmte Skulpturen an. Für Interessierte ist ein Militär-Museum untergebracht. Wir lassen den Tag in einem Cafe in historischen Gemäuern ausklingen. Von hier aus wurde die Stadt, die auch das Tor zu Balkan, genannt wird, durch ihre Geschichte vor Feinden verteidigt. Jetzt ist alles ruhig und friedlich hier.
Ein Fićo wie das Leben
Ich denke darüber nach, wie das Leben so mit einem mitspielt. Neno erklärt mir das Leben anhand des Fićo: «Ihn zu fahren kommt dem Leben am nächsten. Entweder er fährt oder er bleibt mal stehen. Wie bei uns. Mal steht man, mal fällt man.“ Ich nicke ihm zu. Und dann lächle ich wieder. Bekanntlich ist ein Fićo schnell wieder repariert und dann geht die Reise zum gewünschten Ziel weiter. Wie im wahren Leben auch.
Wer eine Tour mit diesem legendären Auto erleben möchte, kann den glücklichen Besitzer Neno direkt kontaktieren und einen Termin anfragen: zubic@msn.com
Alle weiteren Stories und Abenteuer über Nenos Fićo unter instagram.com/ficomanija/
Die Reportage erschien im Magazin Danube Connects in deutscher und englischer Sprache / Ausgabe 01/2016.